Zu Protokoll (II)

Eine in der vergangenen Woche in der ZEIT erschienene Rezension beleuchtet den traurigen Tiefstand des Niveaus der Debatten um die Gegenwartsliteratur in den sogenannten großen Feuilletons, auch des literarhistorischen und -theoretischen Wissens von Leuten wie dem Literaturkritiker Ijoma Mangold, der besagten Text verantwortet. Es handelt sich um einen neuen Aufguß des schon lange beliebten Avantgarde-Bashings. Doch gilt die Polemik keineswegs Jürg Laederach oder Franz Josef Czernin – nein, Ziel ist ausgerechnet Felicitas Hoppe. Für oder gegen die Autorin läßt sich gewiß einiges vorbringen. Aber man wird ihren Namen doch kaum nennen, wenn es um besonders avancierte Positionen heutigen (Prosa)Schreibens geht. Für Mangold freilich ist auch ihre Position schon zu steil. Er glaubt, daß die „hymnische Rezeption“ ihres neuen Romans Hoppe „den Charakter eines Manifests“ hat:

Dieser Roman mag mit großem Geschick Locken auf einer Glatze drehen, aber er tut dies in Wahrheit gar nicht um der Locken willen, sondern er ist Politik, Literaturpolitik: Er will das Drehen von Locken auf einer Glatze zum wahren poetischen Glaubensbekenntnis erklären.

Mit dem „Drehen von Locken auf einer Glatze“ meint der ZEIT-Kritiker offenbar jede Art von reflexiver Literatur und erzählender Prosa, die ihre Fiktionalität auf Meta-Ebenen mitverhandelt – im Gegensatz zu autobiographisch scheinbar beglaubigter Romanschreiberei über Kindheiten in den siebziger Jahren oder in Agenturen und im Nachtleben gestresste Großstadt-Existenzen. Daß Hoppe hier als Beispiel für angeblich zu Artifizielles, Ausgedachtes herhalten muß, liegt vermutlich daran, daß Mangold die Bücher, in denen derlei längst konsequenter und konzeptuell anspruchsvoller durchexerziert wurde, gar nicht kennt. Nur nebenbei: Was er hier als Scheingefecht herbeiredet, wurde vor Dezennien einmal tatsächlich und auf weitaus höherem Niveau diskutiert: als Formalismusdebatte etwa Anfang der fünfziger Jahre in der DDR. Mangold aber behauptet:

Im vergangenen Jahrzehnt haben sich alle genuin literaturkritischen Debatten (also nicht: Grass und Israel) immer um die Frage gedreht: Kunst oder Leben? Konstruktion oder Erlebnis? Form oder Inhalt? Künstlichkeit oder Authentizität? Von Maxim Biller über Volker Weidermanns Lichtjahre bis zu Helene Hegemann und Charlotte Roche arbeitete man sich an dieser unfruchtbaren Alternative ab, als gäbe es das eine ohne das andere. Als wäre es für ein ganzes, reiches Leben sinnvoll, sich für eine Seite zu entscheiden. Als hätte die Literatur nicht wie in des Vaters Haus viele Wohnungen. Als wäre es nicht völlig klar, dass Bücher aus Buchstaben bestehen, und als wäre es nicht ebenso offensichtlich, dass diese Buchstaben, je kunstvoller sie gesetzt sind, uns manchmal wahrer als das Leben erscheinen.

Man muß wohl mit der Betriebsblindheit eines Feuilleton-Redakteurs geschlagen sein, um den künstlichen Aufruhr um die Machwerke von Biller, Hegemann & Co., den man selbst mitinszeniert hat, für die „literaturkritischen Debatten“ der letzten Jahre zu halten. Und zumindest hoffe ich, daß es auch an den germanistischen Instituten noch nicht so weit gekommen ist, daß man dort über Bücher wie die von Volker Weidermann diskutiert. Mir wurde schon im ersten literaturwissenschaftlichen Proseminar der grundsätzlich fiktionale Charakter von literarischen Texten nahegebracht. Mit literaturwissenschaftlichem Grundwissen jedenfalls würden sich diese Schein-Oppositionen echt vs. papieren erübrigen. Felicitas Hoppe aber unterstellt Mangold ein naives Calcul:

Alle, so lautet die Prämisse von Hoppe, schreiben diese autobiografisch beglaubigten Romane, mit echtem Blut, mit echten Tränen, mit echtem Sperma, bei denen sich der Leser am wahren Leben weidet – das könnt ihr auch von mir haben, hier schreibe ich euch meine Autobiografie, und dann werdet ihr begreifen, dass der Schriftsteller, je häufiger er „ich“ sagt, nur desto mehr lügt. Weil es in der Literatur nicht um die Wahrheit, sondern um die Einbildungskraft geht.